Elstern und Katzen als Ursache für Vogelmangel?

 

Vogelexperte warnt vor zu schnellen Schlussfolgerungen

 

Die vorläufigen Ergebnisse der NABU-Mitmachaktion „Stunde der Wintervögel“ zeigen bei verschiedenen Vogelarten einen massiven Bestandsrückgang. Stefan Bosch, Fachbeauftragter für Ornithologie und Vogelschutz des NABU Baden-Württemberg, plädiert dafür, diese Zahlen differenziert zu betrachten und sich nicht zu vorschnellen Deutungen und Schlussfolgerungen verleiten zu lassen.

 

Aus vielen Regionen der Republik wurden Brutausfälle bei Höhlenbrütern wie Meisen gemeldet. - Foto: Frank Derer

Aus vielen Regionen der Republik wurden Brutausfälle bei Höhlenbrütern wie Meisen gemeldet. - Foto: Frank Derer

 

Natur als dynamischer Prozess
Ziel der Vogelzählung ist das Aufspüren langfristiger Entwicklungen. Diese muss man deutlich von kurzfristigen Bestandschwankungen abgrenzen, die ganz normal sind und immer wieder auftreten. Da wir erst Ergebnisse aus sieben Winterzählungen haben, können wir noch nicht viel über Trends und mögliche Schwankungen aussagen. Wir müssen erst noch lernen, welche Bandbreite an Schwankungen auftreten kann. Auch von Fachleuten erhobene Wintervogeldaten weisen deutliche Schwankungen auf. „Natur“ ist ein stets dynamischer Prozess, daher dürfen wir keine alljährlich konstanten Ergebnisse erwarten. Während angloamerikanische Länder bereits über viele Jahrzehnte Daten gesammelt haben, stehen wir noch am Anfang. Die Schwesteraktion der „Stunde der Wintervögel“, die „Stunde der Gartenvögel“ im Frühjahr (dieses Jahr: 12.-14. Mai: www.stundedergartenvoegel.de) läuft schon länger – und hier haben wir mittlerweile deutlich aussagekräftigere Trends und weniger ausgeprägte Schwankungen.

Einfluss des Vogelzugs auf Winterbestände bei uns
Besonders im Winter beeinflusst der Zu- und Wegzug großer Vogelmengen unsere Vogelwelt. Wir befinden uns mitten im weltweiten Vogelzuggeschehen. Vor allem Kohlmeisen, Erlenzeisige, Drosseln, Dompfaffen, Rotkehlchen, Buch- und Bergfinken fliegen in Millionen-Zahl aus ihren nordöstlichen Verbreitungsgebieten bei uns ein – und diese Gebiete reichen von Skandinavien bis Sibirien. Die Zahl der Wintergäste hängt maßgeblich von der Witterung und dem Nahrungsangebot ab: In harten Wintern weichen mehr Vögel nach Süden aus. Und wo es etwas zu fressen gibt, finden sich die Vögel ein (z. B. Mastjahre bei Waldbäumen). Ebenso beeinflusst das Nahrungsangebot die Fortpflanzung in der Heimat dieser Vogelarten: In guten Jahren gibt es mehr Nachwuchs und umgekehrt.

Wenige Wintergäste als Hauptursache für Vogelmangel
Unsere mageren Winterzahlen 2017 decken sich mit den Vogelzugbeobachtungen in vielen anderen europäischen Ländern: Es gab im Winter 2016/17 extrem geringe Durchzugsraten bei den betreffenden Vogelarten. Rückblickend lassen sich geringere Bestandsschwankungen in den Vorjahren ebenfalls mit der Intensität des Zuggeschehens erklären. Der geringe Zuzug an Wintergästen scheint nach derzeitigem Kenntnisstand die Hauptursache für den „Vogelmangel“ zu sein: Er tritt dieses Jahr plötzlich und kurzfristig auf und schlägt deutlich auch in unsere Zahlen zu Buche, da ganz Europa flächendeckend vom Ausbleiben der Wintergäste betroffen ist. Die wichtige Erkenntnis auch zu Beurteilung von Einflussfaktoren ist, dass plötzliche starke Änderungen großflächig auftretende Ursachen haben müssen – und das trifft für das dürftige Zuggeschehen zu.

Brutausfälle bei Höhlenbrütern
Als weiterer Faktor kommt ein geringer Bruterfolg 2016 in Frage. Aus vielen Regionen der Republik wurden Brutausfälle bei Höhlenbrütern wie Meisen gemeldet. Ursache hierfür war gerade in Südwestdeutschland eine überdurchschnittlich feucht-nasse Witterung in den Hauptfortpflanzungsmonaten April und Mai.

 

Elstern und Rabenkrähen finden in der ausgeräumten Feldflur kaum noch geeignete Lebensbedingungen.

Elstern und Rabenkrähen finden in der ausgeräumten Feldflur kaum noch geeignete Lebensbedingungen. - Foto: Frank Derer

Abwanderung in den Wald spielt keine Rolle
Keine Erklärung ist die Abwanderung aller Vögel in den Wald. Es gab dort kein überattraktives Angebot wie in starken Mastjahren. Und auch von dort wurden über Vogelbeobachtungsportale von niedrigen Vogelzahlen berichtet. Der Vogelmangel betrifft also nicht nur die Siedlungen, sondern das gesamte Land und alle Lebensräume. Hinzu kommt, dass ein Wintereinbruch wie am Zählwochenende eher Waldvögel in die Dörfer und Städte treibt als umgekehrt.

Keine überregionalen Krankheitsausbrüche
Krankheitserreger kommen bei Grün- und anderen Finken (Trichominaden, Viren), Amseln und anderen Singvögeln (Usutuviren) als Ursache für meist regional begrenzte Rückgänge in Betracht. Die im Herbst 2016 ausgebrochene Vogelgrippe betrifft vor allem am Wasser lebende Vogelarten, aber kaum Singvögel. Immer wieder werden andere unbekannte Erreger befürchtet, aber hierfür gibt es keinerlei harte Beweise: Weder Totfunde noch Erregernachweise liegen hierzu vor.

Katzen nicht Auslöser des derzeitigen „Vogelmangels“
Katzen sind ein Problem für unsere Vogelwelt (Bedroht die Hauskatze die Artenvielfalt? ). Seit Jahren wird ihr bundesweiter Bestand auf etwa 8,2 Millionen Hauskatzen plus 1 bis 2 Millionen verwilderte Hauskatzen geschätzt. Die Anwesenheit von Katzen übt jedoch schon seit langem einen konstanten Druck auf die Vogelwelt aus. Plötzliche unerwartete Änderungen in der Anzahl oder im Verhalten der Hauskatzen wurden nicht beobachtet. Daher scheiden Katzen als Ursache am aktuell beobachteten Vogelmangel aus.

Rabenvögel: Studien zeigen keinen nachteiligen Einfluss auf Singvogel-Bestände
Rabenvögel sind wenig beliebt und werden immer wieder für alle möglichen Schandtaten verantwortlich gemacht. Sicherlich haben die Bestände von Elstern und Rabenkrähen in den vergangenen Jahrzehnten in unseren Siedlungsgebieten zugenommen. Das ist auch nicht verwunderlich, denn in der von uns ausgeräumten Feldflur (ihrem ursprünglichen Lebensraum) finden sie kaum noch geeignete Lebensbedingungen und wir machen ihnen in Parks und Gärten ideale Angebote (gemähte Rasenflächen, Komposthaufen, hohe Fichten als Brutplatz). Rabenvögel nutzen zur Brutzeit auch Gelege und Jungvögel als Nahrung, nur manche Einzelvögel sind auch auf das Erbeuten erwachsener Singvögel spezialisiert. Und dennoch: Zahlreiche Studien aus ganz Europa belegen seit langem, dass Rabenvögel keinen nachteiligen Einfluss auf Singvogelbestände haben. Auch in unseren Zählaktionen bestätigt sich seit Jahren der Trend, dass sich die Rabenvögel in Gärten nicht ungehemmt und ungebremst vermehren oder gar „überhand“ nehmen, sondern ein ganz normaler konstanter Faktor in unserer Vogelwelt sind. Darüber hinaus zeigen die Ergebnisse der aktuellen Vogelzählung: Bis auf den Kolkraben haben im Winter 2017 sechs Rabenvogelarten gegenüber dem Vorjahr Bestandsabnahmen zu verzeichnen. Auf den Punkt gebracht: Der häufig vorschnell gezogene Schluss, dass die Singvogelbestände dort abnehmen, wo Elstern und Katzen auftauchen, lässt sich nicht bestätigen.