Sinsheim.(bib) Die NABU Gruppe Sinsheim hatte in Zusammenarbeit mit der Heinrich-Böll-Stiftung zu einem Diskussionsabend unter dem Titel „Fleischeslust und Klimafrust“ eingeladen. Unter der Moderation von Dr. Andreas Baumer von der Heinrich-Böll-Stiftung ging es um den Beitrag von Fleischproduktion und –konsum zum Klimawandel. Im Laufe der Diskussionen und des Abends wurde aber schnell klar, dass viele kleine Bereiche zahnradartig in große einfassen, so dass im Rahmen der Globalisierung ein Einzelkampf immer schwieriger wird. Aber auch das wurde allen Anwesenden verständlich gemacht, dass immer noch der Einzelne in seinem verantwortungsvollen Handeln gefragt ist und viele gemeinsam dann doch vom Kleinen ins Große wirksam werden können. An diesem Abend konnten in der Kürze der Zeit nur einzelne Aspekte des komplexen Themas „Fleischproduktion“ angesprochen werden, dies aber durch die fachkompetenten Redner auf informationstechnisch sehr hohem Niveau.
Von den auf Hochleistung gezüchteten deutschen Milchkühen...
über die durch Überproduktion entstandenen Butterberge und Milchseen in der EU in den 80-ern bis zurück zum Beginn der Massentierhaltung in Norddeutschland in den späten 60-er Jahren führte der agrarpolitische Diskurs, mit dem Heimo Linse, Demeter-Bauer aus Angelbachtal, in die Diskussionsrunde einstieg. Vor den unerwartet aber erfreulich vielen, über 60 Besuchern beschrieb er einerseits einen auf Profit geeichten Wirtschaftszweig, der u.a. mit Exporten die Märkte in Afrika ruiniert, und zeigte zugleich den dramatischen Zerfall kleinbäuerlicher Strukturen hierzulande: das Verschwinden kleiner Höfe, die, gegängelt von mit preußischer Strenge umgesetzten Hygienevorschriften und unter Druck gesetzt von den Verbraucher-Wünschen nach immer billigeren Lebensmitteln, die eigene Existenz nicht mehr sichern können. Habe es in den späten Siebzigern, als er den elterlichen Hof auf Bio-Landbau umstellte, in der Umgebung noch 30 weitere Betriebe gegeben, seien es heute gerade mal vier. Wie die weiteren Diskussionspartner Matthias Strobl und Martin Hahn ist der ökologische Landwirt bekennender Fleisch-Esser und Verfechter bäuerlicher Unabhängigkeit. Martin Hahn, landwirtschaftspolitischer Sprecher von Bündnis 90/Die Grünen im Landtag, stellte den Preisverfall von Fleisch in den Mittelpunkt seines Vortrags. Veränderte Verzehrgewohnheiten und nachlassende Kochkünste tragen dazu bei. Ein Grillhähnchen zu finden, das man mit gutem Gewissen essen kann, ist überdies schwierig geworden. Will man sicher gehen, dass das Tier anständig gelebt hat und anständig gestorben ist, muss man von einem Mindestpreis von 15 Euro pro Kilo ausgehen; in der Realität aber werden an jeder Ecke halbe Hähnchen für gerade Mal drei Euro fünfzig „nachgeworfen“. Dieser Werteverlust zeigt sich z.B. auch bei den Discountern, bei denen heutzutage 10 Eier schon für 99 Cent zu haben sind. Matthias Strobl, Referent für Agrarpolitik und Naturschutz des Naturschutzbundes (NABU) Baden-Württembergs, konzentrierte sich auf Zahlen und Statistiken. So verzehrt z.B. jeder Deutsche im Durchschnitt 89 Kilo Fleisch pro Jahr, wobei nach Angaben der Gesellschaft für Ernährung ein Drittel davon der Gesundheit zuträglicher wäre. Zu den siebzehn Millionen Hektar landwirtschaftlicher Fläche in Deutschland, von denen nur noch dreißig Prozent Grünland seien, kämen im Ausland weitere 5,5 Millionen Hektar für den Futtermittelanbau hinzu. Außerdem hat sich Deutschland in den letzten zehn Jahren zum „Schlachthof Europas“ entwickelt. Denn es ist tatsächlich für die Nachbarstaaten billiger, in Deutschland schlachten zu lassen. Martin Hahn macht z.B. die französische Lohnpolitik (Einführung von Mindestlöhnen) mitverantwortlich dafür, dass „in der Bretagne die Schlachthöfe schließen müssen und bretonische Schweine in Niedersachsen sterben“. Abschließend appellierte er an den mündigen Verbraucher, mit seinem Kaufverhalten eine kulturelle Veränderung in Gang zu setzen. Ein Appell, den ein anwesender Bio-Bauer aus dem Publikum nach eigenen Worten „nicht mehr hören“ kann. Den mündigen Bürger, der es immer richten soll, gibt es seiner Meinung noch nicht. Seines Erachtens ziehen sich die Politiker – auch die der GRÜNEN - billig aus der Verantwortung und scheuen unpopuläre Entscheidungen. Seinem Einwurf folgte eine Diskussion über die Aufgabe der Politik, Grundlagen zu gestalten, und über die Verantwortlichkeit eines jeden Einzelnen. Die Wortmeldungen der Zuhörer streiften dabei die Themen Sojahandel, Nitratbelastung des Trinkwassers, politische Bevormundung der Landwirte und vieles mehr. Eine Anwesende, die sich in ihrem Beitrag erschrocken darüber zeigte, dass in einer Veranstaltung mit dem Titel „Fleischeslust und Klimafrust“ Vegetarismus und Veganismus keine Rolle spielten, begründete ihre Entscheidung, sich vegan zu ernähren, mit der Ungerechtigkeit der Menschheitsernährung: tagtäglich verhungern tausende Kinder, weil das Weltgetreide an Tiere verfüttert wird. Die hohe Beteiligung an diesem Abend zeigte, wie wichtig den Verbrauchern dieses Thema ist. Wer sich mit diesen und weiteren Themen näher befassen will, kann sich im „Fleischatlas“, herausgegeben von der Heinrich Böll Stiftung und dem BUND, näher informieren (kostenlos erhältlich unter www.boell.de). Auch die NABU Gruppe Sinsheim wird sich weiter mit diesem umfassenden Thema beschäftigen; zur Mitarbeit wird herzlich eingeladen.